Vor einigen Wochen habe ich wieder mal einige Seiten in Max Frischs Tagebuch 1966-1971 gelesen. Einundsiebzig ist das Jahr in dem ich geboren wurde. Es sind die Schaffensjahre von Frisch und er gibt in seinem Tagebuch ein Gespräch wieder, das er mit einem Malermeister geführt hat.
Die beiden Männer sitzen in einem Gaststätte beim Essen. Der Malermeister hat sechs Angestellte, und man spricht über Kosten, Spritzverfahren, Sport und einiges mehr.
„Welche Arbeit macht Ihnen am meisten Lust? Ich würde lieber eine Wand malen als Fensterrahmen, lieber bunt als fade Ton-in-Ton. Wie ist das? Er versteht die Frage nicht. Renovation oder Neubauten, was macht er lieber? Man macht eben beides, heute nacht eben eine Renovation. Graust ihm vor Nachtarbeit? Das muss eben sein. Da er der Boss ist und somit wählen kann, was er selber macht, frage ich: Welchen Teil der Arbeit wählen Sie? Grundieren denke ich mir langweilig, das Ablaugen alter Farbe noch langweiliger. Was macht mehr Lust, Streichen mit dem Pinsel oder Spritzverfahren? Seine Spezialität, sagt er, ist Hartlack; dabei komme er auf seine Rechnung. Also zurück zu den heutigen Kosten…Zurück zu meiner Frage: Was in Ihrem Beruf macht Ihnen manchmal Lust? Seine Auskunft: Spritzverfahren ist einträglicher, Renovationen bringen wenig, Preise für Fenster sind einfach zu niedrig, dagegen mit Hartlack kommt er auf seine Kosten, schließlich hat er auch eine Familie, Nachtarbeit ist einträglich. Meine Frage nebenbei: Verdrießt es Sie nicht, wenn Farben gegen Ihren persönlichen Geschmack verlangt werden? Natürlich arbeitet er, um sein Leben zu verdienen, das verstehe ich; trotzdem meine Frage: Hätten Sie nicht manchmal Lust, eine andere Farbe zu wählen? Man legt doch Muster an und kann verdutzt sein, wenn dann das ganze Treppenhaus gestrichen ist; ich meine: Sind Sie gespannt, wie es zum Schluß aussieht? Er weiß nicht, was ich mit dieser Fragerei eigentlich will; sein Einkommen hat er mir gesagt. Hätten Sie manchmal Lust auf einen anderen Beruf? Das ist klar: wenn eine Arbeit sich nicht auszahlt, weil die Preise einfach zu niedrig sind, ausgenommen bei Hartlack, der seine Spezialität ist, kann sich das Einkommen verringern. Also Hartlack macht Lust? Das kann er nicht sagen; Hartlack ist ein Verfahren,… (er muß) jetzt gehen, ohne die Hand zu geben, unlustig -.“
Die kurze Begebenheit zwischen Frisch und dem Malermeister beschreibt gut, wie ein eingeschränktes Menschsein seinen Ausdruck finden kann.
Richard David Precht spricht von der Verwandlung einer Bedarfsdeckungsgesellschaft hin zu einer Bedarfsweckungsgesellschaft in den vergangen dreißig Jahren und stellt damit die existenzielle Frage:
In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Wie wollen wir leben? Wie gehen wir mit der rasant voranschreitenden Digitalisierung und Industrie 4.0 um? Mich würde interessieren, was Du dazu denkst? Wie willst Du in der Zukunft leben?